"Dem Bundesverkehrsministerium ist das letztlich egal"

Die von Ihnen geforderte gesetzliche Verpflichtung zu aktivem Lärmschutz, also zu leiseren Flugzeugen und Flugverfahren, ist auch nach dem Bericht der Bundesregierung zur Wirksamkeit des Fluglärmschutzgesetzes nicht wahrscheinlicher geworden. Sind automatische Kippfenster statt Lüfter alles, was Anrainer erhoffen dürfen? Ich bin wirklich sehr enttäuscht. Im Entwurf des Evaluationsberichts aus dem Bundesumweltministerium war ursprünglich die klare Aussage enthalten, dass eine gesetzliche Verankerung des aktiven Lärmschutzes notwendig ist. Das sind ja keine Extremisten im Bundesumweltministerium, sondern Fachleute, die das ganz sauber und sachlich hergeleitet haben. Die Behörde, die dem Umweltministerium zuarbeitet, nämlich das Umweltbundesamt, hat dargelegt, dass es inzwischen viele Möglichkeiten des aktiven Schallschutzes gibt, dass diese aber nur dann verbindlich vorgeschrieben werden können, wenn es dafür eine entsprechende gesetzliche Grundlage gibt. Solange diese nicht besteht, önnn beispielsweise Airlines, die ihre Flugzeuge noch steinzeitlich ausgestattet haben, Vorgaben zu Flugverfahren einfach ablehnen. Das Umweltministerium, das nichts leichtfertig vom Umweltamtbundesamt übernimmt, hat sich dieser Einschätzung angeschlossen und in der ursprünglichen Fassung des Evaluationsberichts gefordert, dass der aktive Schallschutz endlich gesetzlich verankert werden muss.

Im Fluglärmschutzgesetz selbst ginge das aus rechtssystematischen Gründen nicht, aber im Luftverkehrsgesetz? Ja, aber die Luftverkehrswirtschaft hat es ohnehin geschafft, dass dieser Verweis auf die Notwendigkeit einer solchen gesetzlichen Verankerung des aktiven Lärmschutzes schon aus dem endgültigen Bericht zum Fluglärmschutzgesetz verschwunden ist.

Dabei hat die Luftverkehrswirtschaft selbst mehrfach festgestellt, dass der aktive Lärmschutz an der Quelle effektiver für Schutz sorgen kann als der passive Lärmschutz mit dreifach verglasten Fenstern und Lüftern. Wenn man praktisch mit der Luftverkehrswirtschaft arbeitet, wie etwa im Forum Flughafen und Region, dann heißt es da: „Das ist aber schade, dass wir die wirksamste Variante für einen curved approach (das Umfliegen von besiedeltem Gebiet im Anflug, Red.) nicht einfach vorschreiben können. Da muss man doch einmal etwas tun.“ Wenn es aber darum geht, die gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen, dann zieht man dort nicht nur schnell den Schwanz ein, sondern arbeitet aktiv dagegen.

Welche Rolle hat das Bundesverkehrsministerium dabei? Dem Bundesverkehrsministerium selbst ist das letztlich egal. Das fragt die Luftverkehrswirtschaft, ob ihr das irgendwie weh tun könnte, die sagt ja, und schon ist der Verweis bei der Ressortabstimmung wieder aus dem Bericht zum Fluglärmschutzgesetz rausgeflogen. Und das ist natürlich sehr ärgerlich, wenn das Bundesumweltministerium einen Sachgrund anführt, aber alles gekippt wird, weil die Luftverkehrswirtschaft so eine nicht nachhaltige Interessenpolitik betreibt.

Was meinen Sie mit „nicht nachhaltig“? Mit nicht nachhaltig meine ich, dass die Luftverkehrswirtschaft verstehen muss, dass man zur Befriedung der Flughafenstandorte aktiven Schallschutz braucht. Letztlich kann man nur damit auch die Entwicklungsfähigkeit des Flughafens erhalten. Beispielsweise in München hat man versäumt, den Leuten zu erklären, wie man einen Flughafen mit einem Bündel von Maßnahmen raumverträglicher ausbauen könnte. Vom aktiven Lärmschutz bis zu Umsiedlungsangeboten. Man wollte es aber mit dem Vorschlaghammer durchsetzen, dann gab es eine Abstimmung, und am Ende stimmten die Leute gegen die dritte Piste.

Wie müsste denn Ihrer Ansicht nach das ideale Fluglärmschutzgesetz aussehen? Jeder Flughafen braucht einen Lärmminderungsplan. Ganz detailliert ausgearbeitet. Wie ist die Ausgangslage, welche Entwicklungen sind absehbar, und auf welche Maßnahmen kann man setzen, um die zu erwartenden Lasten deutlich zu mindern? Da ist dann ein ganzes Bündel von Maßnahmen in Betracht zu ziehen. Das wird sich bei jedem Flughafen anders darstellen. Auf der einen Abflugstrecke ist vielleicht ein Steilstartverfahren angezeigt, auf der anderen kann die Lufthansa ihr Flachstartverfahren nutzen, weil die Siedlungsstruktur es zulässt. Anderswo ist vielleicht unbedingt ein curved approach nötig, weil man so eine Stadt umfliegen kann. Das Gleiche gilt auch für passiven Lärmschutz. Eine Maßnahme ist nicht überall gleich sinnvoll. Hier in Frankfurt macht etwa das automatische Klappfenster, das das Umweltministerium nun anbietet, Sinn. Es geht um 23 oder 24 Uhr auf und um 5 Uhr zu. An anderen Flughäfen, wo es noch veinzelt Nachtflüge gibt, hat das natürlich keinen Sinn. Und man muss auch über begleitende Siedlungsbeschränkungen sprechen.

Es gibt doch die Schutzzonen. Trotzdem können die Städte mit Hilfe des Paragraphs 34 Baugesetzbuch weiter im Bestand verdichten. Da hat sich das Umweltministerium nicht zu einer Neuregelung durchringen können. Damit bleibt es auch weiter möglich, dass in extrem verlärmten Stadtgebieten weiter Menschen angesiedelt werden.

Was sollen Städte wie etwa Offenbach tun? Die Stadt hat fast keine Flächen mehr, schon gar nicht, um etwa neue Schulen zu bauen. Die Offenbacher agieren aber auch flächendeckend mit dem Paragraph 34 und verdichten im Bestand nach. Je mehr Bevölkerung kommt, je mehr Schulen und Kindergärten muss ich auch bauen. Die Schwierigkeiten sind also auch ein bisschen hausgemacht.

Was sollte man anders machen? Ich sage es einmal so: Ich nehme das Thema Schutz vor Fluglärm so ernst, dass ich sage, wenn es der Gesetzgeber nicht schafft, dann trägt auch die jeweilige Kommune eine Verantwortung. Es muss eine freiwillige Selbstkontrolle der Kommunen, was das Wachstum betrifft, geben.

Sie soll den Zuzug erschweren? Jedenfalls nicht fördern. Und ich sage sogar, es tut den Städten gut, weil die neuen Bürger die Stadt erst einmal viel Geld kosten.

Aber bringen die denn nicht auch irgendwann der Kommune Einnahmen? Es gibt eine goldene Regel, die besagt, dass etwa junge Familien mit Kindern frühestens nach 20 Jahren mehr Einnahmen als Ausgaben erzeugen, vorher kosten sie die Kommunen viel Geld.

Noch einmal zum Fluglärm: Welche Verbesserungen sind bei den Flugverfahren zu erwarten – die meisten sind zu Hauptverkehrszeiten gar nicht anzuwenden? Das hängt vom Verfahren ab. Vor allem aber wäre es wieder eine Frage der gesetzlichen Verankerung. Man könnte etwa hier in Frankfurt das GBAS-System, das auf präziser Satellitennavigation basiert, verbindlich vorschreiben. Dann wäre es möglich, auf jeder Bahn, zu jeder Zeit beispielsweise den erhöhten Anflugwinkel von 3,2 Grad zu fliegen, der Anwohner entlastet. Und zwar unabhängig von den Kapazitätsanforderungen. Hier braucht man eine klare Vorgabe.

Das ist auch eine Kostenfrage. Ja, aber in den neu ausgelieferten Flugzeugen ist das GBAS-System in der Regel schon installiert. Es kostet allerdings Geld, wenn die Airline es auch aktivieren will. Andererseits ist das ein so präzises System, dass man für die Anflugverfahren unabhängig von allen Kapazitätsanforderungen Umfliegungen festschreiben könnte. Davon würden die Menschen in dichtbesiedelten Gebieten extrem profitieren.

Es bleiben Mehrkosten für Airlines. Schon. Aber da sind wir bei dem, worüber hier in Hessen nachgedacht wird. Warum sollte man nicht Airlines dabei unterstützen, das GBAS-System zu aktivieren?

Subventionieren? Ja, es gibt die Überlegungen, Airlines bei besonderen Aufwendungen für aktiven Lärmschutz zu unterstützen. Es gibt auch die Überlegung, Fluggesellschaften, die neue Flugzeuge kaufen möchten, die leiser sind, mit einer Bürgschaft den Erwerb neuer Flugzeuge zu erleichtern, weil die Airlines mit Hessen als Bürgen günstigere Zinsen bekämen.

Das wäre aber sicher im Hinblick auf EU-Recht und die Frage der Benachteiligung zu prüfen.
Sicher. Da ist ein umfassendes Verfahren nötig. Aber ich finde es ausdrücklich sehr lobenswert, dass das im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen angesprochen wird. Das zeigt mir, dass sich der hessische Wirtschaftsminister auch weiterhin mit den Möglichkeiten der Lärmminderung auseinandersetzt, die es hier am Standort überhaupt noch gibt. Und ich finde auch, dass Bürgerinitiativen, die gelegentlich Amok laufen und den Wirtschaftsminister symbolisch aufhängen, einmal kapieren müssen, dass hier am Standort die Möglichkeiten der Verbesserung des Lärmschutzes sehr begrenzt sind.


Sind Sie mit Tarek Al-Wazir als Wirtschafts- und Verkehrsminister der Grünen zufrieden?
Ich sage das einmal ganz deutlich: Ich bin sehr zufrieden. Ich bin mir schon klar darüber, dass das die Öffentlichkeit wundert, da ich ja ein SPD-Parteibuch habe, aber ich bin als Vorsitzender der Fluglärmkommission allein der Sache verpflichtet und ich muss sagen, dass der Minister die Stellschrauben, die vorhanden sind, in die richtige Richtung gedreht hat. Das Lob ist natürlich mit der Hoffnung verbunden, dass das auch in dieser Legislaturperiode so weitergeht. Wobei es keine Vorhaben mit großer Showwirkung wie die Lärmobergrenze und die Lärmpausen mehr gibt, die noch große öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen könnten.

So arg spektakulär sind die Resultate ja auch dabei nun letztlich nicht.
Ja, da muss man feststellen dass bei Lärmobergrenze und Lärmpause tatsächlich weniger zu erreichen war, als sich das der Minister beim Amtsantritt vorgestellt hat. Trotzdem war es richtig, den Weg zu gehen. Die Lärmobergrenze ist installiert.

Aber sie ist freiwillig.
Ja, aber sie existiert. Und das ist ein politischer Erfolg. Es wird kein Zurück geben. Es kann nur eine Weiterentwicklung geben. Deshalb war es richtig, diesen Weg zu gehen.

Sie sind jetzt noch einmal für vier Jahre an die Spitze der Fluglärmkommission berufen worden. Was wollen Sie noch erreichen? Sie sagten schon, spektakuläre Schritte seien nicht mehr zu erwarten.
Was erreicht werden muss, ist eine höhere Sensibilität auf Bundesebene. Es muss eine Initiative geben, die auf eine gesetzliche Verankerung des aktiven Schallschutzes hinwirkt. Ein ganz wesentliches Ziel. Um das zu erreichen, brauchen wir honorige Persönlichkeiten, die von der Politik anerkannt sind und die in der Luftverkehrswirtschaft einen Namen haben. Diese Leute hätten die Aufgabe, dem Bundestag deutlich zu machen, dass wir einen Katalog von wirksamen Instrumenten des aktiven Lärmschutzes haben, die auch die Luftverkehrswirtschaft nicht quälen, die man aber ins Luftverkehrsgesetz reinschreiben muss, weil wir sie sonst nicht anwenden können.

Wer könnte das denn sein?
Etwa Professor Dietrich Wörner. Und andere Persönlichkeiten. Ich glaube nicht, dass eine solche Initiative ohne Wirkung bliebe.

Dass die Leute angesichts der Klimaproblematik in Zukunft weniger fliegen, glauben Sie nicht?
Man sieht, die Leute wollen mehr Mobilität, nicht weniger. Und es wird weiter mehr geflogen werden. Das Flugzeug wird eine noch größere Rolle spielen als bisher. Das ist nicht zu bezweifeln. Wir können die Konflikte nur lösen durch andere Antriebstechniken und Treibstoffe, die weniger klimaschädlich sind, und im Blick auf Lärmschutz durch leisere Flugzeuge und intelligentere Flugverfahren.

Die Fragen stellte Jochen Remmert.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Rhein-Main-Zeitung, 29.01.2019