In der Luft ist noch Platz. Leider

DAS GESPRÄCH FÜHRTE PETRA PINZLER DIE ZEIT:

Herr Knie, trügt der Eindruck, oder hat das Flughafen-Chaos in diesem Jahr zugenommen?

Andreas Knie: In diesem Jahr wurden in Deutschland so viele Flüge gestrichen wie noch nie. Vielen Urlaubern wurde die Reise schon beim Abflug durch stundenlanges Warten vermiest. Oder dadurch, dass die Koffer nicht ankamen.

ZEIT: Was läuft da falsch?

Knie: Die Passagiere bekommen zu spüren, dass die Übernahme von Air Berlin durch die Lufthansa nicht gut geklappt hat. Deren Billigtochter Eurowings hat sich übernommen und lässt nun viele Flüge ausfallen. Aber auch andere Airlines haben Probleme. Ryanair konnte seinen Flugplan wegen zu ambitionierter Expansionspläne nicht einhalten.

ZEIT: Ende dieser Woche soll es bei Ryanair wieder Streiks geben.

Knie: Die Piloten wollen zu Recht mehr soziale Sicherheit. Die sind zum Teil nicht fest angestellt, sondern arbeiten wie Scheinselbstständige. In flauen Zeiten bekommen sie also kein Geld. Auch das Bordpersonal ist schlecht abgesichert. Es wird oft zu ganz miesen Löhnen beschäftigt. Nur deshalb kann die Airline so billige Tickets anbieten. Wer für 20 Euro fliegt, tut das auf Kosten der Leute, die bei diesen Airlines arbeiten. Andreas Knie, 57, ist Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Verkehrsforschung. Er lehrt an der TU Berlin und arbeitet am Wissenschaftszentrum Berlin

ZEIT: Liegt das Problem nicht auch bei den Flughäfen, bei der Abfertigung am Boden? Kürzlich legte in Hamburg ein Stromausfall den Flughafen lahm, kurz darauf eine Lücke im Sicherheitssystem den in München. Am Dienstag geschah Ähnliches in Frankfurt.

Knie: Während viele Regionalflughäfen brachliegen, geraten die großen Flughäfen an die Kapazitätsgrenze. Wenn dann wie in München oder Frankfurt jemand versehentlich in den Sicherheitsbereich gelangt, bricht alles zusammen. Und dann müssen mal eben Hunderte Flüge abgesagt werden. Weil die Flugzeuge aber in den folgenden Tagen oft schon ausgebucht sind, müssen die Leute sehr lange warten.

ZEIT: Müssen Passagiere künftig noch häufiger mit Ausfällen rechnen?

Knie: Ja. Heute warten 50.000 Passagiere ein bis zwei Stunden, 2040 sollen es 470.000 sein. Am Tag.

ZEIT: Warum wird oft so kurzfristig bekannt gegeben, wenn ein Flugzeug nicht fliegt? Es läuft ja nicht ständig jemand durch die Kontrolle.

Knie: Die Sicherheitsregeln wurden deutlich verschärft, da wird bei kleinsten Unregelmäßigkeiten schnell mal ein ganzer Terminal geschlossen. Und dann fallen eben viele Flüge kurzfristig aus.

ZEIT: Die EU hat durchgesetzt, dass Passagiere bei Verspätungen entschädigt werden müssen. Ein Fortschritt. Nur wollen Reisende ja noch lieber als eine Entschädigung einfach Pünktlichkeit. Was muss geschehen, damit sich etwas bessert?

Knie: Hätten die Flughäfen mehr Bodenpersonal und würden die Airlines ihre Leute gut bezahlen, wäre viel gewonnen. Allerdings müsste für eine reibungslose Abwicklung auch die Infrastruktur der großen Flughäfen weiter wachsen, dann würden noch mehr Maschinen starten können. Wir müssen die Zahl der Flüge pro Mensch deckeln.

ZEIT: Verkraftet der Himmel über Deutschland noch mehr Flieger?

Knie: Ja, in der Luft ist noch viel Platz. Leider.

ZEIT: Warum leider?

Knie: Wegen des Klimas. Sosehr ich es als Soziologe begrüße, wenn die Menschen die Welt kennenlernen, so sehr bin ich auch Protestant: Wir müssen die Zahl der Flüge pro Mensch deckeln. Es geht auf Dauer nicht, dass die Leute dreimal pro Monat nach Mallorca fliegen. Oder mal eben nach Mexiko oder Tokio jetten. Der weitere Ausbau der Flughäfen wäre also bequem für die Passagiere – aber ein falsches Zeichen.

ZEIT: Sie werden kaum eine Art Flugquote pro Mensch durchsetzen.

Knie: Jedenfalls muss Fliegen teurer werden, der Preis muss die ökologischen Kosten enthalten. Das ist das Mindeste.

ZEIT: Dann werden die Reichen weiter fliegen – und die Armen nicht mehr.

Knie: Heute fliegt vor allem die Mittelschicht. Die Leute aus der Platte in Halle steigen seltener ins Flugzeug als die aus Berlin-Charlottenburg. Die wirklich Armen werden von einer Preiserhöhung nur begrenzt getroffen.

ZEIT: Aber hat sich die Mittelschicht aus Berlin-Charlottenburg oder Hamburg-Eimsbüttel nicht schon so an das Billigfliegen gewöhnt, dass Ihre Forderung politisch kaum durchzusetzen ist?

Knie: Es gibt tatsächlich eine Generation, die mit Ryanair und Easyjet groß geworden ist. Die wird begreifen müssen, dass sie eine unglaubliche Ausnahmesituation erlebt hat – die zu sehr auf Kosten der Umwelt geht. Diese Leute müssen ihr Verhalten ändern – aber dazu sind Menschen durchaus in der Lage. Es wird ihnen allerdings leichterfallen, wenn es Alternativen gibt. Wenn beispielsweise die Bahnstrecken endlich ordentlich ausgebaut werden. In ganz Europa. Bisher gilt die Bahn bis zu 500 Kilometern als das beste und komfortabelste Verkehrsmittel. Diesen Radius müssen wir ausweiten. Große Teile Frankreichs, die Beneluxländer und der Norden Italiens könnten so angebunden werden, dass die Leute automatisch den Zug nehmen.

ZEIT: Der auch nicht immer pünktlich ist. Und bei dem nicht selten die Klimaanlagen ausfallen.

Knie: Das ist kein Naturgesetz. In der Schweiz gibt es diese Probleme nicht, weil dort mehr in die Bahn investiert wird. Es kann doch nicht sein, dass wir Plastikstrohhalme verbieten, aber weiterhin durch Deutschland fliegen.

ZEIT: Wäre es denkbar, den innerdeutschen Flugverkehr komplett auf die Bahn zu verlagern – oder würde das den Wahnsinn nur verschieben?

Knie: Nur zu Spitzenzeiten gäbe es vielleicht etwas Durcheinander in Frankfurt und München. Das, was die Lufthansa in einem Jahr transportiert, fährt die Bahn an einem Tag.

ZEIT: Wann sind Sie das letzte Mal geflogen?

Knie: Das ist leider nicht lange her. Die Termine lagen so eng beieinander. Auch ich stecke in bestimmten Routinen. Die müssen wir alle ändern. Es kann doch nicht sein, dass wir Plastikstrohhalme verbieten, aber weiterhin durch Deutschland fliegen. Ich bin dafür, dass diese kurzen Strecken verboten werden. Wir müssen an die großen Probleme ran. Und wir brauchen Hilfe, um den inneren Schweinehund zu überwinden. Wenn es keine solchen Flüge mehr gibt, dann ändert sich der Terminkalender, und wir werden gezwungen umzulernen. Ohne diesen Zwang geht es leider nicht.

ZEIT: Viele Menschen können sich eine Welt ohne Fliegen nicht mehr vorstellen. Was raten Sie denen?

Knie: Den Passagieren rate ich: Lassen wir wenigstens die kurzen Flüge sein! Und den Politikern: Verbieten Sie die Flüge innerhalb Deutschlands.

Quelle: Deutsche Flugsicherung