Mehr Klimaschutz verfassungsrechtlich geboten - auch im Luftverkehr ?

Es hat das 2019 von CDU und SPD im Bundestag und mit weiterer Unter­stützung auch im Bundesrat beschlossene Klima­schutz­gesetz in wesent­lichen Teilen für verfas­sungs­widrig erklärt und bis Ende 2022 Nach­besse­rungen verlangt.
Weil aber gerade Wahlkampf ist, finden alle Parteien diese Watsche ganz toll und über­stürzen sich dabei, die Vorgaben des BVerfG unver­züglich umsetzen zu wollen. Sie betreiben dabei wieder genau jenes grüne Marke­ting, das die betei­ligten Aktivist­*innen bereits vor dem Prozess für unzu­reichend erklärt hatten. Eine Ausnahme bildet ledig­lich die AfD, die auch be diesm Thema mit ihrem Geschwätz nicht nur ausser­halb des verfas­sungs­rechtlich zulässigen Rahmens, sondern auch frei von Logik und wissen­schaft­lichen Inhalten ist. CDU und SPD aber entfalten eine derartige Hektik, dass die Wirt­schafts­verbände schon wieder auf die Bremse treten und vor 'voreiligen Entschei­dungen' warnen. Aber was hat das BVerfG eigent­lich genau entschieden?

Dass die bürger­lichen Parteien die Entschei­dung bewusst fehl­interpre­tieren, um ihre bisherige Politik retten zu können, machen auch konser­vative Kommen­tatoren deutlich, die Klima­schutz ernst nehmen. Der Trick: CDU und SPD tun so, als habe das Gericht ihre Klima­politik bis 2030 bestätigt und verlange nur noch, auch die weitere Vorgehens­weise bis zur 'Klima­neutra­lität' zu konkre­tisieren. Ausserdem sei ja eine Verschär­fung der Ziele für 2030 sowieso vorge­sehen und aufgrund der neuen EU-Beschlüsse notwendig. Und so sieht der neue Vorschlag dann auch aus: Emis­sions-Reduk­tion bis 2030 65 statt 55%, bis 2040 88%, 'Klima­neutra­lität' ab 2045 - Zahlen­spiele ohne konkreten Inhalt. Der Gerichts­beschluss sagt aber etwas ganz anderes, wenn auch teil­weise wenig konkret und juris­tisch verklau­suliert.

In den Leit­sätzen zum Beschluss erklärt das BVerfG zuächst der Regierung, dass aus den wohl­klingenden Verfas­sungs­grund­sätzen durchaus konkrete Hand­lungs­aufforde­rungen resul­tieren können: "Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klima­schutz". Ausflüchte wegen wissen­schaft­licher Unsicher­heiten über Details des Klima­wandels gelten dabei nicht: "Besteht wissen­schaft­liche Ungewiss­heit über umwelt­relevante Ursachen­zusammen­hänge, schließt die durch Art. 20a GG dem Gesetz­geber auch zugunsten künftigerenera­tionen aufge­gebene besondere Sorg­falts­pflicht ein, bereits belast­bare Hinweise auf die Möglich­keit gravie­render oder irrever­sibler Beein­trächti­gungen zu berück­sichtigen". Und auch die Ausrede, das Problem sei doch nur inter­national zu lösen, verwirft das Gericht: "Der natio­nalen Klima­schutz­verpflich­tung steht nicht entgegen, dass der globale Charakter von Klima und Erder­wärmung eine Lösung der Probleme des Klima­wandels durch einen Staat allein aus­schließt. Das Klima­schutz­gebot verlangt vom Staat inter­national ausge­richtetes Handeln zum globalen Schutz des Klimas und ver­pflichtet, im Rahmen inter­natio­naler Abstimmung auf Klima­schutz hinzu­wirken. Der Staat kann sich seiner Verant­wortung nicht durch den Hinweis auf die Treib­haus­gas­emis­sionen in anderen Staaten entziehen".
Den Zweck des Klima­schutz­gesetzes, "die Verpflich­tung nach dem Überein­kommen von Paris aufgrund der Klima­rahmen­konven­tion der Vereinten Nationen, wonach der Anstieg der globalen Durch­schnitts­tempe­ratur auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegen­über dem vor­indus­triellen Niveau zu begrenzen ist", erklärt das BVerfG für ver­fassungs­konform. Die Lasten dieses Über­gangs müssen aller­dings gerecht verteilt werden: "Subjektiv­recht­lich schützen die Grund­rechte als inter­tempo­rale Frei­heits­siche­rung vor einer einsei­tigen Verlage­rung der durch Art. 20a GG aufge­gebenen Treib­haus­gas­minde­rungs­last in die Zukunft. ... Konkret erfordert dies, dass früh­zeitig transpa­rente Maßgaben für die weitere Ausge­staltung der Treib­haus­gas­reduktion formu­liert werden ...". Und das darf nicht durch geheim tagende Regerngs­gremien erfolgen, sondern durch den Bundestag als Gesetz­geber. "Eine schlichte Parla­ments­betei­ligung durch Zustimmung des Bundes­tags zu Verord­nungen der Bundes­regierung kann ein Gesetz­gebungs­verfahren bei der Regelung zulässiger Emissions­mengen nicht ersetzen, weil hier gerade die besondere Öffent­lich­keits­funktion des Gesetz­gebungs­verfah­rens Grund für die Notwen­digkeit gesetz­licher Regelung ist."

Im Entschei­dungsteil erklärt dann das BVerfG die Kern­elemente des Klima­schutz­gesetzes, die die quanti­tativen Fest­legungen enthal­ten, für ver­fassungs­widrig: § 3 Absatz 1 Satz 2 "Bis zum Ziel­jahr 2030 gilt eine Minde­rungs­quote von mindes­tens 55 Prozent." und § 4 Absatz 1 Satz 3 ... in Verbin­dung mit Anlage 2 "Die Jahres­emissions­mengen für den Zeit­raum bis zum Jahr 2030 richten sich nach Anlage 2.". Sie bleiben nur des­wegen bs Ende nächsten Jahres anwend­bar, weil "die dem Grunde nach durch Art. 20a GG und die Grund­rechte gebo­tene gesamt­hafte Begren­zung von Treib­haus­gas­emissionen bis zum Jahr 2030" dann ganz entfiele und "die Gefahr für die Nutzung grund­recht­licher Frei­heit nach 2030 ... dann erst recht" bestünde.
Begründet ist die Ver­fassungs­widrig­keit dieser beiden Sätze im Abschnitt III, Randnr. 187: "Der Verbrauch der dort bis 2030 gere­gelten hres­emissions­mengen verzehrt not­wendig und unum­kehrbar Teile des verblei­benden CO2-Budgets. Diese beiden Vor­schriften entscheiden also auch darüber mit, wieviel Zeit für jene Trans­forma­tionen bleibt, die zur Sicherung von Frei­heit unter gleich­zeitiger Wahrung des Klima­schutz­gebots erforder­lich sind. Die durch § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbin­dung mit Anlage 2 zugelas­senen Jahres­emissions­mengen haben damit eine unaus­weich­liche, eingriffs­ähnliche Vor­wirkung auf die nach 2030 blei­benden Möglich­keiten, von der grund­recht­lich geschütz­ten Frei­heit tatsäch­lich Gebrauch zu machen."
In den Rn. 215ff wird dann ausführ­lich begründet, warum die von IPCC und 'Sach­verständigen­rat für Umwelt­fragen' ermit­telten Rest-Budgets für Treib­haus­gase, die zur Einhal­tung der Pariser Klima­ziele noch emittiert werden dürfen, trotz aller Unsicher­heiten heran­gezogen werden können, um zu prüfen, ob die Risiken für unzumut­bare Frei­heits­beschrän­kungen nach 2030 aufgrund zu hoher Emis­sionen bis dahin zu hoch sind. In Rn. 233f stellt das BVerfG dazu fest: "Nach 2030 verbliebe danach von dem vom Sach­verständigen­rat ermit­telten CO2-Rest­budget von 6,7 Giga­tonnen weniger als 1 Giga­tonne. Dabei sind in Anlage 2 zu § 4 KSG noch nicht die zusätz­lichen CO2-Emis­sionen aus Land­nutzung, Land­nutzungs­änderung und Forst­wirt­schaft und die Deutsch­land zuzurech­nenden Emis­sionen des inter­natio­nalen Luft- und See­verkehrs enthalten ..., die das verblei­bende Budget zusätz­lich schmälern. ... Zur ahung der Budget­grenzen müsste demzu­folge nach 2030 alsbald Klima­neutra­lität reali­siert werden. Dass dies gelingen könnte, ist aber nicht wahr­schein­lich."

Statt nun aber an dieser Stelle die bishe­rigen Ziele im Klima­schutz­gesetz eindeutig für verfassungs­widrig zu erklären, verlässt die Bundes­richter­*innen hier der Mut (und/oder es siegt ihre Staats­loyalität), und sie ergehen sich noch in umfang­reiche Spekula­tionen darüber, ob nicht aufgrund der Unsicher­heiten in den Zahlen und mög­licher unvorher­sehbarer Entwick­lungen doch noch irgend­wie ein grund­rechts-verträg­licher Ãœbergang zur Klima­neutra­lität denkbar wäre. "Im Ergebnis sind § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 verfassungs­widrig, soweit eine den grund­recht­lichen Anforde­rungen genü­gende (oben Rn. 251 ff.) Rege­lung über die Fort­schrei­bung der Minde­rungs­ziele für den Zei­traum ab 2031 bis zum Zeit­punkt der durch Art. 20a GG gefor­derten Klima­neutra­lität fehlt", d.h. wenn es der Bundes­regie­rung irgendwie gelingen sollte, einen Weg zur Klima­neutra­lität aufzu¿½zeigen, der trotz hoher Emis­sionen bis 2030 das Klima­ziel einhält, ohne drastische Einschrän­kungen ab 2031 zu erfordern, wäre das auch in Ordnung. Dass das aller­dings pures Wunsch­denken ist, ist im ersten Teil der Urteils­begrün­dung deutlich ausge­führt. Dieses Lavieren des BVerfG ist auch der Grund dafür, dass die Kläger­*innen eine Anrufung der europä­ischen Gerichte prüfen wollen.

Hat diese Entschei­dung auch Auswir­kungen auf die Klima­wirkungen des Luft­verkehrs? Direkt ablesbar ist das zunächst einmal nicht, denn das BVerfG beschäftigt sich nicht mit den Klima­wirkungen einzelner Sektoren, und das Klima­schutz­gesetz bezieht auch nur einen kleinen Teil der Luft­verkehrs­emissionen, nämlich die der inner­deutschen Flüge, mit ein. Bei genauerem Hinsehen enthält das Urteil aller­dings doch einige Aussagen, die dafür relevant sind.
Da ist zum einen der mehr­fach auftauch­ende Hinweis, dass "die Deutsch­land zuzurech­nenden Emis­sionen des inter­natio­nalen Luft- und See­verkehrs" in den Emissions­budgets nicht enthalten sind, aber bei der Betrach­tung des Risikos unzuläs­siger Grund­rechts­beschrän­kungen sehr wohl zu berück­sichtigen sind. Und da ist vor allem die oben schon hervor­gehobene Aussage: "Das Klima­schutz­gebot verlangt vom Staat inter­natio­nal ausge­richtetes Handeln zum globalen Schutdes Klimas und verpflich­tet, im Rahmen inter­nation­aler Abstim­mung auf Klima­schutz hinzu­wirken". Das gilt natür­lich auch für Deutsch­lands Agieren in der Luft­verkehrs­politik der EU und im ICAO-Rat, dessen Klima­schutz-Aktivi­täten völlig unzu­reichend sind.
So zeigt z.B. eine Analyse der europä­ischen NGO 'Trans­port & Environ­ment', dass allein die Emis­sionen der (staat­lich geför­derten) Luft­hansa bei 'business as usual' in den Jahren bis 200rund die Hälfte des verblei­benden Budgets ab 2030 auf­brauchen würden (0,5 von rund 1 Giga­tonne CO2). Und um 2050 einen wenig­stens CO2-freien, aber damit noch lange nicht klima-neu­tralen Flug­verkehr zu erreichen, müssten nach einer neuen Studie wesent­lich grössere Anstren­gungen unter­nommen werden, als bisher geplant sind.

 

Das Urteil liefert also durch­aus gute Argumente, um auch im Flug­verkehr deutlich grössere Anstreng­ungen für den Klima­schutz zu fordern. Verfas­sungs-konforme Luft­verkehrs­politik erfordert, Klima­ziel-konforme Treib­haus­gas-Emissions­budgets für den Flugv­erkehr global, EU-weit und für Deutsch­land zu ermitteln und die Zahl der damit mög­lichen Flüge dement­sprechend zu steuern. Die Bundes­regierung muss das in Deutsch­land durch­setzen und in der EU und bei ICAO nach­drück­lich dafür eintreten. Airlines müssten ent­sprechende 'Klima-Slots' erwerben, um Flüge durch­führen zu können. Der Druck, emissions-armes Flug­gerät zu entwickeln und einzu­setzen, würde enorm steigen, die Kosten für dessen Entwick­lung wären von denen zu tragen, die davon profi­tieren.
Es macht aber auch deutlich, dass die Gerichte diese Forde­rungen nicht aufstellen und durch­setzen werden. Und trotz aller aktuell wehenden grünen Mäntel­chen gilt auch vor und na den anste­henden Wahlen die (leider nicht gender-gerecht formu­lierte) Weisheit aus dem alten deutschen Liedgut: "Es rettet uns kein höhres Wesen, kein Gott, kein Kanzler noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun." Es ist die Aufgabe der Bewe­gungen für Klima­schutz und gegen die Auswei­tung des Luft­verkehrs, das Elend der derzeitigen Klima­politik im Luft­verkehr zu beenden, die rich­tigen Forde­rungen zu propa­gieren und zivil­gesell­schaft­lichen Druck aufzu­bauen, damit Regie­rung und Parla­ment auch in diesem Bereich tun müssen, was ver­fassungs­rechtlich geboten ist.

Quelle: www.bi-fluglaerm-raunheim.de