Rodnungs-Stopp im Hambacher Forst

Online-Artikel (Quelle) auf Spiegel.de

Der Preis dafür war hoch: Für den Einsatz rückten Tausende Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet an. Sie räumten 86 Baumhäuser, sprachen 873 Platzverweise aus, nahmen 144 Personen fest. 27 Polizisten wurden verletzt und rund ein Dutzend Aktivisten. Vor zwei Wochen starb ein Journalist nach einem Sturz von einer Hängebrücke, er wollte den Einsatz filmen.

Die Räumung, man muss das so sagen, wurde mit aller Macht durchgezogen, gegen alle Widerstände. Seit heute stellt sich die Frage: Warum bloß? 

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat RWE die Rodung vorerst verboten. Der Grund: Der Konzern habe nicht belegt, dass ohne die Rodung die Energieversorgung in Gefahr sei. Erst in zwei Jahren, davon geht RWE nun selbst aus, könnte eine endgültige Entscheidung fallen.

Für RWE ist der Beschluss eine Niederlage. Für die nordrhein-westfälische Landesregierung ist er eine Blamage.

Die Politik wollte im Hambacher Forst eigentlich klare Verhältnisse schaffen. Umweltschützer raus, Kohlebagger rein, so sollte es laufen, am besten so schnell wie möglich. Mitte September gab die Landesregierung den Auftrag, den Wald räumen zu lassen. Schließlich, so sagte es Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), habe bereits die rot-grüne Vorgängerregierung vor zwei Jahren RWE zugesichert, dass der Konzern in seinem Tagebau wie geplant roden und baggern dürfe. 

Dass in Münster, beim Oberverwaltungsgericht, erst noch über eine Beschwerde der Umweltschutzorganisation BUND entschieden werden muss? Egal, das wird schon werden, dachte man wohl bei der Landesregierung. Falsch gedacht.

Statt klarer Verhältnisse muss sich die Regierung jetzt eine Menge unangenehmer Fragen, gefallen lassen: Warum hat man in Düsseldorf nicht auf die Entscheidung des Gerichts gewartet? Hat man versucht, sich über die Justiz hinwegzusetzen? Welches Verständnis von Rechtsstaatlichkeit steckt dahinter? Und wie lässt sich jetzt, da die Rodung vorerst verboten wurde, der Polizeieinsatz rechtfertigen, den selbst viele Einsatzkräfte von Anfang an für komplett überflüssig hielten? 

Unverständnis schlug in Ablehnung um, Ablehnung in Wut 

Für die Politik ist das Wäldchen zwischen Köln und Aachen auch deswegen ein gewaltiges Problem, weil es zum Symbol geworden ist. Und zwar nicht mehr nur bei Umweltverbänden und Aktivisten mit Sturmhauben, sondern auch bei Menschen, die bislang nur wenig mit Naturschutz zu tun hatten. Schon vor der Räumung der Baumhäuser wuchs bei ihnen das Unverständnis, dass der Wald bald Geschichte sein soll. 

Zunächst kamen an den Wochenenden ein paar Hundert Menschen zu den sogenannten Waldspaziergängen, bei denen sie sich mit den Aktivisten in den Holzhütten solidarisierten. Sie verstanden nicht, warum Bäume für schmutzige Braunkohle fallen müssen.

Und auch nicht, warum das jetzt alles so schnell gehen muss. Schließlich lotet eine Kommission derzeit im Auftrag der Bundesregierung einen Zeitplan für den Kohleausstieg aus. Solange die Experten zu keinem Ergebnis gekommen sind, fordern die Umweltschützer, dürfen im Hambacher Forst keine Bäume fallen. 

Doch, sagte die Landesregierung in Düsseldorf. Man müsse die Baumhäuser räumen, des fehlenden Brandschutzes wegen. Viele Menschen hielten das für vorgeschoben. Fehlender Brandschutz in Baumhäusern? Warum gibt man nicht einfach zu, dass man auf der Seite von RWE steht? Das Unverständnis schlug bei vielen Bürgern in Ablehnung um. 

Inzwischen strömen jedes Wochenende mehrere Tausend Demonstranten zum Hambacher Forst. Die Baumhäuser sind geräumt und zerstört, der Protest aber ist geblieben und hat sich sogar noch gesteigert. Es sind Postboten und Lehrerinnen, die Transparente gegen Braunkohle und RWE hochhalten. Leute, die zu Hause einen Schrebergarten haben, stehen jetzt im Wald und sagen: Das können wir uns nicht gefallen lassen, wir müssen gegen die Staatsmacht aufstehen. 

Die Ablehnung hat sich zur Wut gesteigert. Die Bilder der Waldbeschützer, die sich zwischen Stieleichen und Hainbuchen den Polizeiketten in den Weg stellen, gehen mittlerweile um die Welt. 

So etwas muss man als Landesregierung erst mal hinbekommen.