Wie geht es weiter mit der Luftfahrt?

Die Corona-bedingte Krise der Luft­verkehrs­wirtschaft dauert an und wird aller Wahr­schein­lich­keit nach auch noch eine Weile weiter wirken. Während frühe Szenarien eine schnelle Rückkehr zum Vor-COVID19-Niveau nicht ausschlossen, gehen inzwischen alle Prog­nosen von mehreren Jahren mit redu­ziertem Passa­gier-Flug­verkehr aus. EUROCONTROL hat seine Vorher­sage für das kommende Jahr gerade drastisch nach unten korrigiert, die DFS legt eine eigene, ähnlich skeptisch Prognose vor, und Fraport präsen­tiert der Flug­lärm­kommis­sion neben aktuellen Zahlen (die genauer in ihrem Monats­bericht zu finden sind) Ausblicke, wie sie auch von der Lobby­organi­sation BDL vorgelegt wurden.

Natürlich bleibt es nicht bei der bloßen Beschrei­bung der Lage, und selbst die meist sehr konzern-freund­liche FAZ stellt fest, dass der Ton rauer wird. Das Luft­hansa-Manage­ment hatte es vorgemacht: trotz schlechter Ausgangs­lage ging es mit Maximal­forderungen in die Verhand­lungen um Subven­tionen - und hat sich weit­gehend durch­gesetzt. Soziale oder Umwelt­auflagen gab es nicht, Entlas­sungen werden href="https://www.lufthansagroup.com/de/newsroom/meldungen/folgen-der-corona-pandemie-belasten-lufthansa-ergebnis-erheblich.html" title="Neue Seite: Lufthansa PM, 06.08.2020 'Folgen der Corona-Pandemie belasten Lufthansa Ergebnis erheblich'" target="_blank">in großem Stil geplant, der Schwer­punkt des Wieder­aufbaus liegt auf "der touris­tischen Kurz­strecke", und die neuen staat­lichen Vertreter im Aufsichts­rat hat der LH-Vorstand gemäß seinen eigenen Interessen selbst ausge­sucht. Und während hierzu­lande in großemSil öffent­liche Gelder kassiert werden, werden Steuern weiterhin lieber in Steuer­oasen gezahlt.
Obwohl der Lufthansa-Deal inzwischen bei fort­schritt­lichen Ökonomen als gutes Beispiel dafür dient, wie man es nicht machen sollte, ist nicht zu erwarten, dass künftig bei ähnlich gelagerten Fällen aus Fehlern gelernt würde. In anderen Fällen, in denen der Staat etwas mutiger war und seine Subventionen mit Auflagen (wenn auch von sehr begrenzter Wirkung) verbunden hat, wie Frankreich bei Air France/KLM, wehren sich die Airlines heftig, und die Politiker weichen prompt zurück.

Genau darauf setzt die Luft­verkehrs­wirtschaft. Zwar gibt es einige unumgäng­liche Anpassungen an die neuen Bedingungen wie eine Verklei­nerung der aktiven Flugzeug-Flotten, aber die Maßnahmen sind natür­lich ausschließ­lich betriebs­wirt­schaftlich optimiert. So werden insbe­sondere die großen, vier­strahligen FLugzeuge ausge­mustert, weil jede Airline für sich derzeit kleineres Fluggerät besser auslasten kann. Dass der Gesamt­bedarf an Transport­leistung auf einer bestimmten Strecke unter Umständen mit großem Gerät öko­logisch effi­zienter befriedigt werden könnte, spielt dabei natürlich keine Rolle.

Hauptsächlich aber sollen nach den Vorstel­lungen des BDL und anderer Lobbyisten noch mehr Subven­tionen dafür sorgen, dass alles bald wieder so wird, wie es früher war. Die Personal­kosten von Flug­häfen und Airlines sollen noch jahre­lang via Kurz­arbeiter­geld von der öffent­lichen Hand getragen werden, und Zuschüsse und billige Kredite, vernied­lichend "Finan­zierungs­brücken" genannt, sollen weiterhin in großem Umfang fliessen. Letztere zahle ja garnicht der Steuer­zahler, sondern laut BDL lasse sich die öffent­liche Hand "diese sehr lukrativ zurück­erstatten". Wenn das wahr wäre, fragt man sich, warum private Geldgeber sich dieses Geschäft entgehen lassen. Kapital, das Anlage­möglich­keiten sucht, gibt es ja wahrhaft genug. Zu den Kondi­tionen, die Staat und KfW der Lufthansgeboten haben, fliesst aus diesen Quellen aller­dings kein Cent.

Aber nicht nur Profit­gier, auch Unverant­wortlichkeit kenn­zeichnet die Vorgehens­weise der Luft­verkehrs­wirtschaft. So zielt der Hauptstoss der aktuellen Lobby­arbeit insbe­sondere darauf, doch endlich die "staat­lichen Blockaden" zu beseitigen, die die wirt­schaft­lichen Aktivi­täten unnötig lähmen. Gemeint sind damit insbe­sondere die Reise­beschrän­kungen und -warnungen, die den Menschen die Lust am Fliegen verleiden, aber auch die Test- und Quaran­täne-Vorschriften, die das Reisen so unbequem machen.
Im Wortlaut: "Wenn wir wollen, dass der Luft­verkehr sich wieder selber finanï½zieren kann, müssen die Blockaden enden. Eine Nachfrage ist da. Deswegen müssen wir weiter daran arbeiten, Reise­beschrän­kungen aufzu­heben und gesund­heitlich verant­wortbare Alter­nativen für die derzei­tigen blockie­renden Regeln finden". Wer aller­dings glaubt, dass der BDL tatsäch­lich "verant­wortbare Alter­nativen" zu bieten hätte, wird unmit­telbar darauf enttäuscht: "Bereits im April hat die Luft­verkehrs­wirtschaft Maßnahmen entlang der gesamten Reisekette mit den Behörden in Bund und Ländern etabliert, um gesund­heitlich sicheres Fliegen zu gewähr­leisten." Gewirkt haben sie nicht.

Aktuelle Zahlen aus der letzten Urlaubs­saison zeigen in Einzel­fällen, in Flug­hafen-Statis­tiken und in der Infektions­statistik insgesamt, was man schon seit Jahren wissen konnte und was durch neuere Studien bestätigt wird: Wenn man die Ausbrei­tung einer Pandemie eindämmen will, dann muss man den Reise­verkehr, insbe­sondere den Flug­reise­verkehr, einschränken.
BDL, Lufthansa und andere setzen dagegen auf Schnell­tests, die Passa­gieren ein falsches Gefühl der Sicher­heit vermitteln und Behörden dazu veran­lassen sollen, insbe­sondere profit­trächtige Trans­atlantik­flüge wieder ohne Auflagen ugenehmigen. Dass diese Schnell­tests umstritten sind und "in der Patienten­diagnostik und bei Reise­rück­kehrern ... nichts verloren" haben, stört sie wohl nicht weiter.

Woran die Luftfahrt­industrie statt­dessen arbeiten müsste, um einen nach­haltigen Neustart in eine "neue Norma­lität" zu erreichen, verdeut­licht ein neues Strategie­papier des ICCT, das skizziert, mit welchen Maßnahmen der Transport­sektor insgesamt bis 2050 ein Emissions­niveau erreichen könnte, das mit den inter­national verein­barten Klima­zielen halbwegs verträg­lich ist. Im Vergleich zu dem, was die deutsche Luft­fahrt­industrie von sich gibt, liest sich schon diese Studie wie ein Papier aus einer anderen Welt. Tatsäch­lich ist das Problem aber noch größer, wenn man sich nht nur auf Treib­haus­gase beschränkt, sondern auch andere Klima­wirkungen des Luft­verkehrs mitein­bezieht, wie Beiträge von der DLR bis RolandBerger belegen.

Die Luft­verkehrs­wirtschaft dagegen ist weltweit dabei, ihre Klima­ziele zu demontieren. So hat der ICAO-Rat bereits im Juni beschlossen, das ohnehin schon weit­gehend wirkungs­lose Kompen­sations­system CORSIA endgültig zu kastrieren, indem als Emissions-Bezugs­jahr nicht mehr die Periode 2019/2020, sondern nur 2019 (mit deutlich höheren Emis­sionen, die dann auch künftig 'kostenlos' sind) zugrunde gelegt wird. Das hat den Effekt, dass bis zum Jahr 2027 vermut­lich praktisch keine Kompen­sations-Zerti­fikate benötigt werden. Zwar werden aktuell vorwie­gendenig effi­ziente Flug­zeuge aus dem Verkehr gezogen, aber von einer notwen­digen schnellen Umrüstung auf klima­schonen­deres Fliegen ist nichts zu sehen. Ohnehin stehen die meisten dafür benö­tigten Techno­logien über­wiegend nur auf dem Papier, während nach wie vor viel Forschungs- und Entwick­lungs­aufwand für neue Über­schall­flugzeuge betrieben wird.
Widerstand dagegen gibt es kaum. Zwar ist die Klima­bewegung weltweit und auch hierzu­lande endlich wieder auf der Straße, aber die Schwer­punkt­themen sind über­wiegend andere. Die Diskussion darüber, wie der Luft­verkehr nach­haltig umzu­bauen wäre, ist deutlich unter­entwickelt.

Auch die Flug­lärm­kommission müht sich mit diesem Thema ab. Sie hat in ihrer letzten Sitzung "mit großer Mehrheit" ein Thesen­papier ihres Vorsit­zenden, Thomas Jühe, verab­schiedet, das in sechs Thesen auf­zeigt, wie eine solche Diskussion institu­tionell angelegt werden könnte.

Unstrittig dürfte These 1 sein: "Das Eingreifen der Politik in die Belange des Luft­verkehrs ist historisch etabliert und akzeptiert", auch wenn man durchaus einen anderen Blick auf die Historie haben kann. Auch These 2, "Das Eingreifen der Politik zur Rettung von privat­wirtschaft­lichen Unternehmen verpflichtet zugleich zur Herstel­lung eines allge­meinen Nutzens" ist mit Blick auf das Grund­gesetz, Art. 14(2) "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemein­heit dienen" eher zurück­haltend formu­liert.

Problematisch wird es mit These 3: "Erhöhte Chancen für eine verant­wortungs­orien­tierte Neuaus­richtung des Luft­verkehrs unter Einbe­ziehung des Klima- und Umwelt­schutzes durch die Krisen­situation". Sie wird, etwas platt formuliert, damit begründet, dass es politisch einfacher ist, ein kaputtes System anders wieder aufzu­bauen, als in ein intaktes, profi­tables System einzu­greifen. Das geht etwas zu einfach darüber hinweg, wer welche Inter­essen mit dem Wieder­aufbau verbindet und wer wieviel Macht hat. These 4 ist demgegen­über geradezu trivial. "Viele Anregungen zur Neuaus­richtung des Luft­verkehrs erleichtern die Ideen­findung" - an Ideen mangelt es wahrhaftig nicht.

Knackpunkt aber sind die These 5: "Nur die Politik kann erfolg­reich zwischen den Inter­essen der Luft­verkehrs­wirtschaft und der Umwelt­verbände mode­rieren/steuern und damit zu einem abge­wogenen und stabilen Ergebnis für die Neustruk­turierung des Luft­verkehrs beitragen", was in einem "Arbeits­kreis „Perspek­tiven für einen klima- und umwelt­verträg­lichen sowie wirt­schaft­lich prospe­rierenden Luft­verkehr in Deutsch­land“", in dem "Wirt­schafts- und Umwelt­inter­essen pari­tätisch berück­sichtigt sind", geschehen soll; und These 6: "Fest­legungen zu Inhalten und Aufgaben­stellungen durch Mindest­anforderungen an die Arbeits­gruppe schaffen Verbind­lichkeit und erhöhen die Wahr­schein­lichkeit, zu verwert­baren Ergeb­nissen zu kommen", die mit 17 über­wiegend bekannten Inhalten konkre­tisiert ist.
Wer sich hier an die Mediation zum Ausbau des Flughafens oder, aktueller, an die Experten­gruppen zu 'Stutt­ga 21' oder zum "Kohle­kompromiss" erinnert fühlt, liegt durchaus richtig. Auch dort durften sich Arbeits­gruppen an langen Listen inhalt­licher Fragen abar­beiten, um dann ein Ergebnis zu verkünden, das als "breiter Kompro­miss" verkauft werden konnte.

Allerdings hat "die Politik" in Form von Bundes- und Landes­regie­rungen weder hier noch da neutral mode­riert/gesteuert, sondern massiv Wirt­schafts­interessen vertreten und die betei­ligten Verbände über den Tisch gezogen. Betrachtet man die oben beschrie­bene aktuelle Politik, kann man sicher sein, dass der FLK-Ansatz ein ähnliches Ergeb­nis bringen würde.
Versuche, die politische Aus­einander­setzung darüber, wie der Luft­verkehr der Zukunft aussehen kann und darf, in ein abge­hobenes Experten­gremium zu verlagern, das lange vor sich hin tagt, während in der Realität täglich neue Fakten geschaffen werden, sind grund­sätz­licuntaug­lich. Ver­gleich­bar hätte die Anti-Atom-Bewe­gung versuchen können, den Atom­ausstieg in Arbeits­kreisen mit den Energie­konzer­nen durch­zusetzen. Politik wird nicht in Experten­gruppen fest­gelegt. Die können höchstens die konkrete Umsetzung politisch mehrheits­fähiger Ent­schei­dungen ausar­beiten und Details festlegen. Was mehr­heits­fähige Politiken sind, kann aber in einer Demo­kratie nur aufgrund breiter zivil­gesell­schaft­licher Diskus­sion und Aus­einander­setzung ent­schieden werden.
Dafür müssten zunächst ein paar Grund­fragen geklärt werden, z.B.

  • Wieviel Flugverkehr verträgt das Klima in den nächsten Jahr­zehnten?
  • Wieviel davon kann utr dem Gesichts­punkt der Klima­gerech­tigkeit in Europa bzw. Deutsch­land statt­finden?
  • Wie werden solche "planetaren Grenzen" kontrol­liert und durch­gesetzt?
  • Wieviel Flugverkehr verträgt die Region unter den Gesichts­punkten 'Lärm' und 'Schad­stoff­belastung'?
  • Wie werden die notwen­digen Umbau­prozesse finanziert, kontrol­liert und durch­gesetzt?

Erst wenn klar ist, dass über solche Fragen eine gesellschaftliche Entscheidung erzielt werden kann, macht es Sinn, sich um die daraus folgenden Details zu kümmern. Wenn der Grundkonsens, der die Politik vor Corona bestimmt hat, stillschweigend erhalten bleibt, wird es keine relevanten Veränderungen geben.
Im Klartext: so, wie die Bedingungen heute sind, kann eine nach­haltige Luft­verkehrs­politik, die umwelt- und sozial­verträglich ist, nur durch­gesetzt werden, wenn die wirt­schaft­liche Macht und die Profit­interessen der betei­ligten Konzerne soweit einge­schränkt werden, dssdas Über­lebens­interesse der großen Mehr­heit der Bevöl­kerung überwiegt. Darüber entscheidet keine pari­tätisch besetzte Arbeits­gruppe, sondern der Kampf auf der Straße und in den Zentren der öffent­lichen Meinungs­bildung.

Die Bürger­initiativen und Umwelt­verbände wären gut beraten, wenn sie derartige Einbindungs­versuche auch künftig ignorieren und ihre Forde­rungen dort vortragen würden, wo es darauf ankommt: in der Öffent­lichkeit, in den Medien und in den politischen Entscheidungs­gremien. Erst wenn dort in Grundfragen die wichtigsten Positionen geklärt sind, kann es Sinn machen, sich an der Regelung von 'Detail-Fragen' (wie z.B. der Endlager-Suche für den vorhandenen Atommüll) zu beteiligen.

Quelle: www.bi-fluglaerm-raunheim.de, Aktuelles